Miriam Falkenberg

Gedichte.

Kostproben

Fernwärme

wenn du weit weg bist
von mir
räumlich
zeitlich
oder geistig

dann schalte ich um
auf Fernwärme

dein zerlöcherter Pullover
den du mir einst überlassen hast
stopft das Sehnen im Bauch

deine Stimme
kleidet meine Träume aus

deine Worte
schmiegen sich
um mein Herz

deine Hand
spüre ich
mich über Stolpersteine leiten

und wenn ich möchte
kann ich alles
durch deine Augen sehen

wenn ich dir nah sein will
lasse ich meine Gedanken
zu dir fliegen

frei und leicht
wie die Wolken
die zuweilen
in deine Richtung ziehen

Fernwärme

 

In deinen Armen

in deinen Armen
fühle ich mich umfassend
gehalten
gelassen
gemeint

warm, rund und kraftvoll

etwas Weiches
rollt sich zusammen
in meinem Bauch

ein schöner Schwindel
breitet sich aus
in meinem Kopf
lässt Worte verfliegen
Fragen verdunsten

in deinen Armen
verlassen mich Zweifel
und alle bösen Geister

es juckt an meinen Lenden
dort wachsen mir Flügel

in deinen Armen
treibe ich Wurzeln
tief in die Erde hinein
und in den Himmel
Knospen und Kronen

ich ertrage mich
in deinen Armen
ich trage dich
in meinen Armen
für eine lange Zeit

 

Frag mich doch

frag mich doch
warum ich Blumen auf den Tisch gestellt habe
wie es mir in der Arbeit gegangen ist
warum ich den ganzen Tag schon singe

frag mich doch
wie der Streit mit den Nachbarn ausgegangen ist
von was ich gerade träume
warum ich so still bin

frag mich doch
wenn ich einmal nichts essen kann
von was mein neues Gedicht handelt
wofür ich dankbar bin und worauf stolz

frag mich doch
wie es mir geht

ich hätte vielleicht nicht auf alles Antworten
doch ich könnte viel leichter erzählen
denn ich wüsste
dass du ein Auge hast auf mich
dass du mich meinst
dass du mein Glück willst

ich würde mich aufmachen für dich
und vielleicht auch du dich für mich

Ich habe eine Schwäche

ich hab eine Schwäche
für deine Stärke
für dein Rückgrat
und deine Standfestigkeit

ich habe eine Stärke
für deine Schwäche
für deine lädierten Bandscheiben
und deine müden Füße

ich wachse an dem
was du mir entgegen setzt
ich berge mich in dem
was du mir entgegen bringst

ich werde schwach
bei Süßem und Saurem
ich werde stark
für und durch Dich

Das letzte Wort

nicht
der Tod
wird
das letzte Wort
haben

Gott
wird es haben

möglicherweise
wird es einsilbig sein

vielleicht nur
„Du“
oder
„Ja“

so kurz
und doch wird es
die Kraft haben
uns hineinzuholen
in ein neues Leben

Ich begegne Dir

ich begegne Dir
in der Leichtigkeit
wenn mir die Dinge mühelos
von der Hand gehen
sich wie nebenbei die Herzkammern
mit Schätzen anfüllen
die Schatten kürzer sind als das Licht
wenn ich an der Quelle plantsche

ich begegne Dir
im Schmerz
zusammen gekrümmt
handlich verpackt
oder zentnerschwer
die vernarbten, die juckenden
die aufreißenden Wunden
die bedrückenden Lücken
die endlosen Nächte

ich begegne Dir
im Überdruss
wenn ich dem Leben
nur mehr zusehen mag
neben der Spur
außen vor
so vieles probiert, so oft gescheitert
zu lange gewartet, zu viel erhofft

ich begegne Dir
in Bewegung und Stillstand
in Fülle und Leere
in Tatkraft und Erschöpfung
in Überfluss und Überdruss
und alles in allem
in der Liebe

Dir, dem Über-All-Wirksamen
Dir, dem ohn-mächtig Liebenden
Dir, dem Zeiten-Sprengenden

ich begegne Dir
in mir
ich begegne mir
in Dir

 

träum weiter

träum weiter
von der neuen Erde
und dem neuen Himmel
und mal ihn dir
in allen Farben aus
deinen Traum

damit die Erde
nicht stecken bleibt
im Alptraum
von Ausbeutung
und Herrschaft

träum unbedingt weiter
damit dir die Kraft zum Handeln
damit dir dein Licht
nicht ausgeht

träum weiter
in einen neuen Morgen hinein

tu so
als käme es in erster Linie
auf dich an

hoffend
dass wir Viele sind

vertrauend
dass der Schöpfer
Wort hält

dass er sich
einschreibt in unsere Geschichte

die verheißene Geschichte
des Heils

 

Es ist zu wenig

Es ist zu wenig
immer mal wieder
nur einen Gedanken zu verschwenden
an Dich
wo Du Dich doch
ganz verschwenden willst
an uns

ab und zu ein bisschen glauben
ein bisschen Segen
zu besonderen Anlässen
schadet ja nicht

ab und zu ein Stoßgebet
oder ein frommer Tischspruch
solange die Kinder noch klein sind

Du aber willst
dass wir Dich
um Deiner selbst willen
in unser ganzes Wesen
aufnehmen
dass wir Dich anziehen
wie eine zweite Haut
wie ein Gewand
das jeden von uns glänzen lässt

dass wir Dich
in allen Dingen
fühlen und finden
mit jeder Faser unseres Körpers
mit jeder Facette unserer Seele

Du willst uns bewohnen
Du willst uns in Dir beheimaten

Es genügt nicht
wenn wir Dich
nur halbherzig suchen

Es reicht nicht
wenn wir uns Dir
nicht ganz überlassen

Und dennoch

unsere Sehnsucht nach Dir
wäre ein Anfang

 

Pass auf!

pass auf!
leicht entflammbar
ist der Himmel heute!

hältst du ihm
dein Licht entgegen
wird er für dich leuchten

Wolken ziehen
wie glühende Schiffe
weit über dir vorbei

sie kommen
mit Liebe geladen
bis an ihr höchstes Bord

verpass es nicht!
der Heiland kommt!

der Himmel hält Ausschau
nach deinen offenen Armen
nach deinem wachsamen Herz

Ob der Fluss sich selber hört?

Ob der Fluss sich selber hört?
ob ihn Lärm und Dreck wohl stört?

Ob die Gräser sind gewahr,
dass sie gleichen wildem Haar?

Ob der Biene jeder Nektar
schmeckt auf jedem Wiesenhektar?

Ob das Meer aus Jadegrün
fühlt, dass wir´s mit Sehnsucht seh´n?

Ob der Sand erinnert leise
sich an seine lange Reise?

Ob der Berg weiß, dass er mal
hinterließ ein weites Tal?

Ob der Baum sich mächtig freut,
wenn ein Nest in ihm verweilt?

Ob die Amsel selbst verliebt
sich berauscht an ihrem Lied?

Ob die Schnecke denkt: „Wie langsam!“
Oder: „Langsamkeit ist handsam“?

Ob der Regen, wenn er fällt,
sieht, dass Leben er erhält?

Ob die Frühjahrsblüher jubeln,
wenn sie in das Licht eintrudeln?

Ob die Wolke, wie ein Drachen,
hört, wenn über sie wir lachen?

Ob der Mensch weiß, mit Verlaub,
dass er ist nur Sternenstaub?

 

Unverdrosselt

unverdrosselt
begrüßt der Vogel
einen neuen Morgen

schwingt sich
zu immer höheren Zweigen
und zu kühneren Melodien auf

mit dem ersten
einfallenden Licht
erhellt er federleicht
unsere Stimmung

führt uns hinein
in diesen Tag
auf einer Tonspur
der Hoffnung

 

Wundertüte

Hummel über Enzian,
ganz beschwipst im Frühjahrswahn,

fällt in eine Wundertüte
feinen Pollens erster Güte.

Ihre Schwester tut´s ihr nach,
Kopf vornüber, ganz gemach.

Pollenhöschen strotzt vor Beute,
das ist nur der Anfang heute!

Wie die friedlich satten Hummeln
möcht ich auch gern blütenbummeln.

Blauer Zauber! Nektartraum!
So ins Paradiese schaun

möcht´ ich auch mal eines Tages,
wenn mir einer zuruft: Wag es!

 

Letzter Tanz

der Herbst lässt bitten
letzter Tanz im Goldrausch
Blatt für Blatt

Memoiren schweben
in Leuchtschrift zu Boden
Dünger für die fröstelnde Erde

der Himmel breitet ein Märchenzelt aus

hereinspaziert alle
die Verwandlungen lieben

Wie zieht man ein Kind groß?

Wie zieht man ein Kind groß? Wo zieht man?
Am Schopf, an der Hand, an der Zehe?
Und wann lässt man rechtzeitig los,
bevor das Geziehe tut wehe?

Ach Gottlob: Sie wachsen von selber.
Wir sind nur ihre Begleiter.
Auch ihren Seelen bekommt das.
Es macht sie fröhlich und heiter.

 

Der Einfaltspinsel

Ein Einfaltspinsel ging spazieren,
er wollte seine Borsten kühlen.

Die hatte er sich heiß gemalt.
Er meinte, er sei hochbegabt.

Er malte Mutter-Vater-Kind,
und alles so, wie es wohl stimmt.

Die Sonne schien auf jedem Bild
und zwar genau ausreichend mild.

In seiner Welt war alles klar
und einfach und nichts sonderbar.

Er wollte es zu bunt nie treiben,
schwarz-weiß konnt´ er besonders leiden.

Nur ja nichts Neues ausprobieren!
Da könnte man sich ja genieren,

bis er ´nen Zweifaltspinsel traf.
Der war das Gegenteil von brav

und stellte ihm sehr schlaue Fragen,
machte ihm Mut, es bunt zu wagen,

sich Pinsel kreuz und quer zu schwingen.
Dem Einfalt wollt´ es bald gelingen.

Sie malten sich die Welt neu aus,
sogar über den Rand hinaus!

Das war ein ulkiges Gespann.
Was so ´ne Dreifalt alles kann.

 

Ich brauche Menschen

ich brauche Menschen
die mich nähren
mit Essen und Liebe

die mir zuhören
mit offenen Ohren und Liebe

die mit mir lachen
mit Kitzelschlachten und Liebe

die mich trösten
mit Liedern und Liebe

die mir Orientierung geben
mit Grenzen, Werten und Liebe

die mir vorlesen
mit Begeisterung und Liebe

die mich mal verwöhnen
mit Kuchen und Liebe

die mir beibringen, zu streiten
mit Argumenten und Liebe

die mich kleiden
mit Kleidung und Liebe

die mich pflegen, wenn ich krank bin
mit Wadenwickeln und Liebe

die mich herausfordern
mit Aufgaben und Liebe

die Fehler vergeben und eingestehen
mit Mut und Liebe

die mich so nehmen, wie ich bin
mit Worten, Gesten und Liebe

wenn ich diese Menschen habe
werde ich nicht nur groß
sondern auch stark im Herzen

mit Fröhlichkeit und Liebe

 

Mein Vater hat

Mein Vater hat einen dicken Mercedes!
– Mein Vater ist 3000 Kilometer zu Fuß gelaufen auf der Flucht.

Mein Vater hat die stärksten Muskeln von allen!
– Mein Vater sitzt im Rollstuhl und spielt trotzdem Basketball.

Mein Vater konnte alle Frauen kriegen, die er wollte!
– Mein Vater hat einen Mann geheiratet.

Mein Vater hat immer Recht!
– Mein Vater kämpft für Gerechtigkeit.

Mein Vater hat 100 Angestellte, die ihm alle gehorchen!
– Mein Vater hat einem Tyrannen die Stirn geboten.

Mein Vater hat das Beste auf der Welt: Mich!
– Das hat mein Vater auch!

 

Ungeheuer Kreativ

Ungeheuer Kreativ
verlief sich einst im Großstadtmief.

Konnte dort nichts mehr kreieren,
kroch herum auf allen Vieren.

Die Ideen, alle futsch.
Sonst ging´s doch in einem Flutsch!

Zuviel Menge und Gerenne,
zu viel menschelndes Gedränge,

zu viel Reize, Lärm und Mief,
das war nix für Kreativ.

„Wie komm ich hier wieder fort?
Wo find ich nen ruhigen Ort?“

Ungeheuerliche Tränen
kullern aus dem großen Sehnen.

Das rief „Freundlich“ auf den Plan,
Ungeheuer mit Elan.

„Hallo, Kumpel, kann ich helfen,
ich bin dienstbar wie die Elfen!“

„Ach, ich such die grüne Weite,
meine schöpferische Seite

braucht nen kreativen Quell.
Dann erst wird es bunt und hell.“

Freundlich muss nicht überlegen,
sein Haus ist auf dem Land gelegen.

Beide fliegen nun hinaus.
Gut geht die Geschichte aus!

Die Ideen sprudeln wieder,
Kreativ singt viele Lieder,

dichtet, schöpft ganz aus dem Vollen.
Ungeheuerliches Wollen.

Wenn erst

wenn erst die Arbeit bewältigt ist
wenn erst die Raten abbezahlt sind
wenn erst der neue Chef bestimmt
wenn erst der blöde Kollege geht
wenn erst die Gehaltserhöhung winkt
wenn erst der Besuch abgereist ist
wenn erst das Wetter besser wird
wenn erst die Operation gelungen ist
wenn erst die Kinder groß sind
wenn erst Urlaub ist
wenn erst Morgen ist
wenn erst Abend ist
wenn erst –
dann!!

dann hat sich das „Dann“
aus dem Staub gemacht

es hat sich umgeschaut
wo es ein „Jetzt“ gibt

 

Friede herrscht nicht

es sind
Herrschafts-Zeiten

die Experten
für Lüge und Unterwerfung
mal wieder an der Macht

es herrscht Krieg

das würde Frieden nie tun

Friede herrscht nicht
Friede regiert

 

Nicht kaputt zu krieg-en

verwüstet
die Städte

verdunkelt
die Seelen

vertrieben
die Menschen

verroht
die Soldaten

vergewaltigt
die Frauen

verloren
die Leben

versprengt
die Familien

verzweifelt
die Kinder

nicht kaputt zur krieg-en
die Hoffnung

 

TError

Auf TError
reimt sich nur „Error“.

Der Wahnsinn
müsste Wahnunsinn heißen.

Wie viele Versäumnisse
wie viel Ausgrenzung
wie viele Demütigungen
müssen zusammenkommen,

wie tief müssen Menschen
in Sackgassen stecken
dass sie meinen
sich da wieder herausbomben
zu müssen?

Dass sie bereit werden
sich zu entmenschlichen?

Dass sie der Macht
unheiliger Rattenfänger
des Todes
blindlings folgen?

Wo ist hier ein Neustart möglich?
Von Error zu Escape?

Ein Finger am Abzug,
eine Hand an der Waffe
kann in Sekunden
so vieles für immer zerstören.

Wer sammelt die starken Hände
und mutigen Herzen
zum Aufbauen und Versöhnen?

 

Gewöhne dich nicht

gewöhne dich nicht
an das erste junge Grün
flaumig hervorquellend aus
Büschen und Bäumen

an den ersten Blick auf die Berge
die Stadt verlassend
den Geruch des Meeres
bevor du es siehst

gewöhne dich nicht
an die unzähligen Gesichter der Not
Verarmte, Verfolgte an Leib und Seele
auf unseren Bildschirmen
vor unseren Türen

gewöhne dich nicht
an den Missbrauch von Macht
an die Unterordnung des Menschen
an blinde Systeme
an den Diebstahl der Seelen
durch ungebremstes Wachstum
und maßlose Gier

gewöhne dich nicht
an die Augen
die Hände deiner Liebsten
das Weinen
das Lachen deines Kindes

gewöhne dich nicht
an das Leben
an Wunder nicht
und nicht an das Grauen

sonst wird es gewöhnlich
sonst schmeckt es schal

bleib Salz
bleib wach
bleibe am Leben

*Alle Gedichte sind “Kostproben” und unterstehen meiner Lizenz und dürfen nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung veröffentlicht und weiterverbreitet werden.

*alle Hörproben:
Sprecherin der Gedichte: Verena Rendtorff, geb. 1964, München. Schauspielerin, Tänzerin, Sängerin, Sprecherin, Choreographin.
www. engelszungen.biz