Der Apfelbaum trägt Kinder Gegenentwurf zur digitalen Welt

Miriam Falkenberg (47) ist Dichterin, Sozialpädagogin, Theaterpädagogin, Mama und Ehefrau – und alles hängt auch irgendwie mit dem Garten im Münchner Südwesten zusammen. Er ist Genussort und Inspirationsquelle, aber am meisten liebt sie es, mit den Händen die Kartoffeln aus der Erde zu graben.

 „Die Natur ist bei mir persönlich schon immer mitgelaufen“, erzählt Miriam Falkenberg. „Ich habe Sozialpädagogik in Benediktbeuern studiert – also auf dem Land – und bekam dann in der Großstadt München meinen ersten Job. Da habe ich dann meine Frau Lisa kennen gelernt und seit 20 Jahren gehen wir durch dick und dünn.“

Die beiden wohnen schon sehr lange in einer großen 50er-Jahre-Wohnanlage am Tierpark, die ursprünglich für Siemensmitarbeiter gebaut worden war: „Ich wohne hier gefühlt im Grünen, an der den Isarauen, wo es aus der Stadt hinaus in die Weite geht. Und ich schaue hier direkt in diese wunderschöne kleine Gartenanlage, in der sehr viele Anwohner ihre Gärten haben.“ Der „Kleingartenverein Süd-West 54 e.V.“ hat rund 70 Parzellen.

Der Wunsch nach einem eigenen Garten entstand, „als wir vor neun Jahren immer mit unserer Tochter Frida im Tragetuch hier durchgelaufen sind, um sie zu beruhigen. Da ließen wir uns auf die Warteliste setzen.“ Eineinhalb Jahre Wartezeit kamen ihnen damals lange vor – heute ist die Warteliste gesperrt.

Tatsächlich konnten sie dann aus drei Gärten auswählen und bekamen den perfekten Garten: „Er liegt in der Mitte der Anlage, war sehr, sehr gepflegt, fast zu geradlinig. Aber das war uns lieber als total verwildert.“ Es gab sogar einen Teich wo heute, dank Solarstrom, immer Wasser rieselt.

Auf gute Nachbarschaft

Gleich als sie vor sieben Jahren kamen, hatten sich die Nachbarn vorgestellt: „Also, dass wir‘s schon mal wüssten, sie seien nicht diejenigen, die vor allem kontrollieren und meckern – und: Auf gute Nachbarschaft.“ Und die wurde wirklich gut. Es gibt keine gebauten Zäune zwischen den Gärten, die Nachbarn auf der anderen Seite sind zu Freunden geworden. „Das ist toll. Ich finde gute Nachbarn im Garten sind wichtiger als die Nachbarn zuhause. Denn in der Wohnung kann man die Tür schließen. Wir fühlen uns auch als Regenbogenfamilie komplett auf- und angenommen, das ist wunderbar zu erleben.“ Regenbogenfamilie heißt, dass Tochter Frida (9) schwul-lesbische Eltern hat, also zwei Mamas und zwei Papas.

Das gute Miteinander ist auch in der Parzelle wichtig: „Wir sind zu dritt: Meine Frau Lisa, ihr Bruder Martin und ich – und das funktioniert sehr gut. Denn der Garten ist ja auch wie ein Freiluftwohnzimmer. Da muss man auch mal ‚anklopfen“ und darf dann auch sagen: ‚Ich will gerade nicht reden.‘“

Die drei ergänzen sich ideal im Garten. Martin ist Schreiner und passionierter Naturbeobachter. Er ist der Mann, der den Weg mit Isarsteinen gepflastert, die Hochbeete und den Rosenbogen gebaut, Piratenschiff und Baumhaus gezimmert hat. Dieses Jahr macht er die Eckbank – damit endlich die sperrigen Gartenmöbel von der Terrasse verschwinden – und ein Holzpferd für Frida.

Gleichzeitig ist er „ein laufendes Naturlexikon“ und hat entscheidenden Anteil daran, dass der 250 m² große Garten eine bunte Vielfalt zeigt. Die Blumen zum Beispiel blühen von den Tulpen im Frühling über Bauerngartenflair („zum Beispiel Stockrosen wo man nie weiß, wo sie im nächsten Jahr herauskommen.“) bis hin zu Wildblumen. Die besonderen Sachen bringt er regelmäßig aus der Klostergärtnerei Benediktbeuern mit.

Darf ich buddeln gehen?

Für Lisa ist jegliche Gartenarbeit der pure Ausgleich zum Beruf: „Sie fragt abends zum Beispiel ‚darf ich noch buddeln gehen?‘ und hat auch immer den Plan, was gerade zu tun ist. Sie und ihr Bruder Martin sind die Impulsgeber, ich mache eher die Arbeiten, die man mir sagt.“

Insgesamt hat der Garten drei Bereiche: Terrasse, Wiese und Nutzgarten. Die Wiese wird vor allem „bespielt“. „Der alte Apfelbaum trägt nicht besonders gut, aber er trägt unsere Tochter und ihre Freundinnen.“ Über die Jahre trug er je nach Fridas Bedarf Piratenschiff, Baumhaus oder Schaukel.

Ein belebter Garten

Mit ihrem besten Freund aus dem Garten nebenan wird die Wiese zur Theaterbühne, auf der sie kleine Filmchen drehen, und im Sommer toben und juchzen sie auf der Wasserrutsche.

Für Frida birgt der Garten auch Rückzugsorte. Sie kann einfach allein in den Garten gehen, hinter der Hütte liegt ihr geheimes Quartier. Oder sie steigt in die Baumhütte und setzt ihre Kopfhörer auf.

Zum alten Apfelbaum haben sich zwei Spalierobst-Äpfel und eine Pflaume gesellt. An den Sträuchern „hängen immer unsere Weihnachtsgeschenke: selbstgemachte Marmeladen aus Johannisbeeren und Himbeeren, Hollersirup, Holler-Essig, Hollergelee …“ Im sternförmigen Kräutergarten wachsen Blutampfer, klassische Küchenkräuter wie Lavendel, Rosmarin, Thymian und „wir probieren einfach immer wieder Neues, meist learning by doing, auf Zuruf übern Gartenzaun.“

Sandbeet und Tipi

Oder es entwickelt sich „organisch“, wie aktuell bei einem kleinen Sandbeet. „Das war Fridas Sandkasten. Als wir den auflösten, rief Martin: ,Stopp, der Sand wird nicht weggekarrt.‘ Und da wird jetzt experimentiert, zum Beispiel mit Natternkopf und Ginster.“ Neu entstanden ist zudem ein tipiförmiges Gestell aus Weidenzweigen, an dem sich die schwarzäugige Susanne und die Winden emporranken sollen.

Im Nutzgarten mit seinen zwei Hochbeeten werden schon früh die vorgezogenen Pflänzchen eingesetzt. Feldsalat, Rucola, Kohlrabi – anfangs aus Frostschutzgründen unter Vlies. Über die Jahre haben sich die drei Gärtner auf eine Fruchtfolge geeinigt. „Wir haben zum Beispiel Tomaten, Karotten, Mais und Bohnen. Die Bohnen sind auch gartengestalterisch ein super Element, mit ihrem Gestell, auf dem sie wuchern können. Süßkartoffeln setzen wir immer in einen großen Topf. Und Frida hat auch ihr kleines Beet, aber man muss sie schon auch mal dran erinnern.“

Aus der Erde buddeln

Am meisten freut sich Miriam Falkenberg jedes Jahr darauf, „die Kartoffeln direkt aus der Erde auszubuddeln. Wir haben verschiedene Sorten, zum Beispiel die roten Bamberger Hörnle, Drillinge und eine normale festkochende Sorte. Und wenn dann noch der Kürbis dazukommt …“

Mit Hilfe eines Gaskochers in der Hütte findet das Abendessen möglichst oft im Garten statt: „Karotten und Kartoffeln kommen direkt aus dem Boden in den Topf. Da haben wir dann eine Zeit lang das Gefühl, wir seien autonom.“

Gegenentwurf zu digital

Der Garten ist für Miriam Falkenberg der bodenständige Gegenentwurf zur digitalisierten Welt. „Das ist auch ein bisschen heile Welt, da funktioniert noch so vieles: Sozial mit dem nachbarschaftlichen Geben und Nehmen, und mit dem Leben nach den Jahreszeiten. Im Garten sieht man auch schnell das Ergebnis, säen und ernten hängen direkt zusammen.

Das ist so ganz anders wie in ihrer Arbeitswelt, wo sie als Sozial- und Theaterpädagogin seit zwölf Jahren in der ambulanten Erziehungshilfe arbeitet, das heißt: Sie kommt in viele problembeladene Familien. Sie begegnet wohlstandverwahrlosten Jugendlichen und Kindern in prekären Verhältnissen, die „noch nie an einem Gänseblümchen gerochen haben“.

Eines ihrer Anliegen ist deshalb, Kinder und Natur wieder zusammenzubringen, damit sie Bodenhaftung bekommen, Freiräume erleben, Selbstwert aufbauen: Sie hat zum Beispiel einen Barfußpfad angelegt, auf den sich Kinder mit verbundenen Augen wagen, geht mit Gruppen in die Isarauen, ist beteiligt an einem Wald- und einem Urban-Gardening-Projekt.

Und neben der Natur – und mit der Natur – sind da Theater und Literatur: Die Theaterpädagogin und Autorin hat im letzten Jahr für Grundschulkinder ein Theaterstück geschrieben, mit ihnen eingeprobt und dann in diesem Jahr aufgenommen, weil es wegen Corona nicht aufgeführt werden konnte. Als nächstes soll eine feste Theater-AG in der Grundschule entstehen – der Antrag ist gestellt.

Genuss in der Hängematte

Ihr ganzer Berufsalltag ist ausgesprochen wortreich – wenn sie dann nach Feierabend in den Garten kommt, ist für sie die Hängematte der größte Genuss. „Die beiden Hängematten an der Hütte haben wir erst seit letztem Jahr – da fragen wir uns heute, warum erst jetzt. Ich habe am Abend nicht den Impuls, gleich zu zupfen, sondern will genießen.“ Oder dichten.

Miriam Falkenberg schreibt und dichtet, seit sie schreiben gelernt hat, in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. „Das nehme ich mir meist nicht vor, sondern es drängt sich auf, ein Thema sitzt unter der Haut – und mir geht es erst wieder besser, wenn ich das zu Papier gebracht habe. Und der Garten ist natürlich eine riesen Inspirationsquelle.“

Neben dem Garten sind die Schöpfung, der Glaube, Gefühle, Politik und Gesellschaft ihre Themen. Einzelne Gedichte wurden bereits bei größeren Verlagen veröffentlicht, im Sommer sollen zwei Gedichtbände erscheinen. „Nenn mir ein anderes Wort für zart“ wird das Buch mit den Garten- und Schöpfungsgedichten heißen. Das folgende Gedicht entstand im Garten voller Pollen und Summen.

Wundertüte

Hummel über Enzian,
ganz beschwipst im Frühjahrswahn,

fällt in eine Wundertüte
feinen Pollens erster Güte.

Ihre Schwester tut‘s ihr nach,
Kopf vornüber, doch gemach.

Pollenhöschen strotzt vor Beute,
das ist nur der Anfang heute!

Wie die friedlich satten Hummeln
möcht ich auch gern blütenbummeln.

Blauer Zauber! Nektartraum!
So ins Paradies zu schau‘n

werd‘ ich auch mal eines Tages,
wenn mir einer zuruft: Wag es!

Auszug auf dem Kleingärtner-Magazin 4/2021

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